Page 4 - Positionen_2017
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Jeder will doch mitspielen, oder?Wie aus Ubongo mal so eben Ognobu wird und deshalb alle ins Ziel kommenKürzlich war ich in einem Pflegeheim und aß ein ordentliches Stück Kuchen. Am Nachbartisch lärmte eine kleine Großfamilie um ein Spielbrett herum. Manchmal blickten alle furchtbar ange- strengt auf kleine Brettchen, Finger sortierten Formen, drehten und wendeten sie und legten sie, durch ein lautes ‚Ja!‘ begleitet auf weißen Feldern ab, dann gestikulierten wieder alle und manchmal rief einer „Ognobu!“. Alles johlte und der Gewinner durfte Steinchen in eine lange Reihe von Steinen einfügen.Ich linste neugierig hinüber und erkannte das Spiel Ubongo, das Sie auch kennen sollten. Bei diesem Brettspiel müssen verschiedene, farbige Formteile auf passend weiße Kästchen gelegt werden. Der schnellste Spieler gewinnt. Die Spie- ler müssen daher wirklich rasch handeln, denn lange Denkpausen verzeiht Ubongo nicht!Ich stutzte: Eigentlich ist das Spiel für vier Perso- nen ab acht Jahren vorgesehen, hier spielten sechs: Oma, Opa, Mutter, Vater, Kind 1 und Kind 2. Und eigentlich ist das Spiel nur spannend, wenn gleich schnelle Denker miteinander kon- kurrieren. Hier aber spielten höchst unterschied- liche Spieler: Kind 2 war offenbar der Schnellste, kühl, kalkulierend, mathematisch versiert, spar- sam in den Bewegungen, konzentriert. Wow, was für ein Spieler.Ihm gegenüber saß Oma. Oma sprach nicht viel, ihre Blicke schweiften manchmal ab und sie war ganz offenbar meistens in einer anderen Welt. Aber der Finger einer Hand tippte immer wieder auf das Spiel. Oma wollte mitspielen. Ja und dann Opa: Er sei kein bisschen dement, sagt er. Dieses Spiel hätten sie schon als Kind gespielt. Alle Augen schauten ihn an: Da stimmte was nicht. Doch! Er habe ein Foto, auf dem er beim Preisskat eine Ente gewonnen hätte. Zweiter Platz. Die Gans hätte er lieber gehabt. Ok.Der vierte Spieler, Kind 1, hat Down-Syndrom, sonst nichts. Zieht immer die Luft hörbar zischend zwischen zusammengepressten Lippen ein, wenn er der Aufgabenstellung gewahr wird, fährt sichmit der rechten Hand durch die Haare und ruft, er habe wieder die schwerste Prüfung gezogen.Vater ist so, sagen wir mal: mittel. Unauffällig. Passt auf, dass keiner mogelt. Mutter hat ein Hel- fersyndrom und mischt sich bei Oma und Kind 1 ein. Reißt deshalb nicht wirklich was und macht Oma manchmal mürrisch. Kind 1 schiebt ihre Hand zur Seite.In dieser Runde gewinnt Oma und verliert Kind 2. In seinem Gesicht sieht man Spuren der Irrita- tion und die Lippen spitzen sich ein klein wenig. Oma bleibt gleichmütig und tippt auf die Karte vor sich.Wie konnte das geschehen?Vater erklärt es mir nach dem Spiel so: Man spiele hier nicht Ubongo, sondern Ognobu. Alles klar? Nee, eigentlich nicht... Sei doch logisch, dass man die Spielregeln anpassen müsse, wenn alle mitspielen wollten? Oder ob ich glaube, man solle eine schwache und eine starke Runde par- allel spielen und die Schwachen diskriminieren? Wie uncool sei das denn? Oder – er weist mit den Augen und einem leicht Kopfrucken über den Tisch – ob ich ernsthaft ohne Chancenausgleich gegen den dort – er zeigt auf Kind 2 – spielen wolle? Ohne eine einzige Gewinnaussicht? Nein, will ich nicht.So geht also Ognobu – wirklich grob beschrieben:Phase I: Alle erklären, dass sie mitspielen wol- len und bereit sind, den anderen eine Chance zu geben. Das tun sie dadurch, dass sie bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten spielen. Bitte? Ja, doch! Kind 2 muss sich vorher entscheiden, wie- viele Karten es versucht zu spielen, während die anderen weniger als Ziel formulieren können. Er wird nur gewinnen, wenn er sein Pensum schafft. Wenn er dreimal hintereinander gewonnen hat, wird sein Schwierigkeitsgrad erhöht. Wenn er dreimal verliert, kann er zusätzlich das Gesicht verlieren und weniger anstreben... So geht es


































































































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